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Das Hochzeitsgeschenk

Pfarrbrief vom 18.01.2004:
Irgendwo sollte eine Hochzeit gefeiert werden. Die Brautleute hatten nicht viel Geld, aber dennoch waren sie der Meinung, dass viele Leute mitfeiern sollten. Geteilte Freude ist doppelte Freude, dachten sie. Es sollte ein großes Fest werden, beschlossen sie, mit vielen Gästen. Denn warum sollte unsere Freude nicht ansteckend sein? fragten sie sich. Es herrscht unter den Menschen ohnehin mehr Leid als Freude. Also baten sie die Eingeladenen, je eine Flasche Wein mitzubringen. Am Eingang würde ein großes Fass stehen, in das sie ihren Wein gießen könnten. Und so sollte jeder die Gabe des anderen trinken und jeder mit jedem froh sein. - Als nun das Fest eröffnet wurde, liefen die Kellner zu dem großen Fass und schöpften daraus. Doch wie groß war das Erschrecken aller, als sie merkten, dass es Wasser war. Versteinert saßen oder standen sie alle da, als ihnen bewusst wurde, dass eben jeder gedacht hatte: Die eine Flasche Wasser, die ich hineingieße, wird niemand merken oder schmecken. Nun aber wussten sie, dass jeder so gedacht hatte. Jeder von ihnen hatte gedacht: Heute will ich mal auf Kosten anderer feiern. - Unruhe, Unsicherheit und Scham, erfasste sie alle, nicht nur weil es lediglich Wasser zu trinken gab. Und als um Mitternacht das Flötenspiel verstummte, gingen alle schweigend nach Hause und jeder wusste: Das Fest hat nicht stattgefunden (aus China).

Das Leben ist mit einem großen Hochzeitsfest zu vergleichen. Die Brautleute haben viele Gäste eingeladen. Da das Gelingen eines Festes nie von einer Person, sondern von allen Teilnehmern abhängt, muss jeder sich einbringen. Die erbetene Flasche Wein steht auch für andere Gaben: gute Laune, Beteiligung am Gespräch, Zuhören, Freundlichkeit, seine eigenen Fähigkeiten investieren; vielleicht zupacken, wo es notwendig ist; dankbar sein und Freude schenken. Wer dazu nicht bereit ist, sollte lieber zu Hause bleiben.

Wenn Wein erwartet wird, darf man nicht Wasser schenken, sonst würde man Notleidende mit frommen Sprüchen abspeisen. Mit falschen Scheinen aber lindert man keine Not.

Im Leben kommt es auf jeden an. Wer meint, er könne auf Kosten anderer leben, gefährdet menschliche Solidarität. Keiner ist zu ersetzen, keiner ist überflüssig, keiner ist ohne Wert. Jeder hat Fähigkeiten und Gaben, die er einbringen kann. Die Flasche Wein meint noch mehr als eine Gabe; sie steht für den ganzen Menschen.

Wenn Maria bei der Hochzeit zu Kana den Dienern aufgibt, „was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5), dann macht sie damit eine Aussage, die für unser Leben von großer Bedeutung ist. Gott verwandelt zwar, aber er bedient sich immer der Menschen. Wer seinen Ruf annimmt und sich an die Anweisungen Jesu hält, kann nie irre gehen. Alles, was wir - auch mit unseren schwachen Kräften - einbringen, wird von ihm in „guten Wein“ (Joh 2,10) verwandelt. In der Erzählung und in der Bibel steckt eine seltsame Antinomie: Obwohl wir nicht auf Kosten anderer leben sollen, leben wir immer auf Kosten anderer: die Kinder leben auf Kosten der Eltern, die Eltern später auf Kosten ihrer Kinder, die Schwachen auf Kosten der Starken, die Kranken auf Kosten der Gesunden.

Und das größte Wunder der Weltgeschichte: Die ganze Welt lebt auf Kosten Jesu Christi.

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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