Dom Minden  
  ARCHIV | PFARRBRIEFE  

Ein König ohne Krone

Pfarrbrief vom 23.11.2003:
Das Wichtigste bei einem König ist die Krone. Sie ist Symbol seiner Macht und seiner Herrschaft. Alle Könige der Welt treten bei besonderen Feierlichkeiten, Empfängen oder Staatsakten mit einer Krone auf. Auch in der Kunst werden die Könige immer wieder mit einer Krone dargestellt. Sogar Christus begegnet uns in Figuren, Altären oder Bildern, wenn er als König beschrieben werden soll, mit einer Krone auf dem Haupt. Er ist der Herr der Welt; alle Macht ist in ihm verkörpert. Bei der Krönung Mariens im Retabel der Goldenen Tafel trägt er die Krone.

Im unteren Teil der Goldenen Tafel aber, in der Predella, ist Christus bei der Krönung Mariens ohne Krone dargestellt. Das ist ungewöhnlich. Was mag der Grund sein? Sicher hat sich der Künstler etwas dabei gedacht. In der mittelalterlichen Kunst ist nichts zufällig, alles ist symbolträchtig. Viele Fachleute habe ich gefragt, warum Christus ohne Krone dargestellt sei; keiner konnte mir bisher eine überzeugende Erklärung geben. Ein Besucher des Domes gab mir allerdings einmal eine bedenkenswerte Deutung:
„Jesus hat seine Krone genommen und sie Maria auf ihr Haupt gesetzt.“ Ich weiß nicht, ob diese Antwort künstlerisch und theologisch richtig ist; aber sie ist aussagestark und tief. Vielleicht wollte der Künstler sagen: Als Jesus seine Krone abnahm, stieg er von seinem Thron, um unter den Menschen zu leben. Er wollte ihnen seine Krone bringen.

Im Konflikt zwischen Amerika und dem Irak ging es beiden Präsidenten darum, sich gegenseitig in die Knie zu zwingen. Beide fühlten sich als Sieger, der eine militärisch, der andere moralisch. Der gestürzte irakische Präsident wollte seinen Feind dadurch demütigen, dass er in seinem Land auf Teppichen und Fußböden das Bild des amerikanischen Präsidenten anbringen ließ, um dem Volk die Möglichkeit zu verschaffen, den ärgsten Feind mit Füßen zu treten und ihn damit aufs Tiefste zu kränken.

Das Evangelium zeichnet ein ganz anderes Bild von Christus dem König. Es malt das Bild des göttlichen Königs auf die Fußböden und Teppiche der Welt so, dass es sich in den Armen und Schwachen, in den Hungrigen und Obdachlosen, in den Kranken und Gefangenen verbirgt. Es handelt sich um Menschen, über die die Welt hinwegschreitet. Wer auf das Haupt der Armen tritt, der trifft immer das Haupt des Königs Christus.

So ist die abgenommene eigene Krone Jesu eine Gebärde der Solidarität mit den Schwachen. „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich,“ schreibt der Apostel Paulus in seinem christologischen Hymnus (Phil 2, 6 f.).

Die abgenommene Krone Jesu ist aber noch mehr als ein Zeichen der Solidarität mit den Schwachen. Jesus setzt die Krone Maria auf ihr Haupt und in Maria allen Menschen, die schwach und krank sind und die auf ihn ihre Hoffnung setzen. „Er hat uns zu Königen gemacht“ (Offb 1,6), heißt es in der heutigen Lesung. Wir alle sind eingeladen, am Königtum Jesu Christi teilzunehmen.
Das ist die Botschaft des Christ-Königs-Festes an die Menschen: Königskinder seid ihr!

Ihr

Paul Jakobi
Propst

zurück