Dom Minden  
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Der Heilige Geist und Maria

Pfarrbrief vom 19.05.2002:
Der Eröffnungsvers des Gottesdienstes am Pfingstmontag ist der Geheimen Offenbarung entnommen und lautet: "Christus liebt uns; er hat uns zu Königen gemacht" (1,5 f.). Beide Aussagen sind von abgrundtiefer Bedeutung für die Menschen. Christus liebt uns! Wie viele Menschen, die sich verlassen fühlen, schreien nach Liebe. Das können Kranke in ihren Schmerzen sein, oder von ihren Eltern nicht verstandene Kinder, Menschen in einer zerbrochenen Beziehung, durch Versagen, Unfähigkeit oder Anderssein aus der Gesellschaft ausgeschlossene Bürgerinnen und Bürger, Menschen, die ihren Lebenssinn, ihr Glück und ihre Hoffnung verloren haben - sie alle hungern nach Liebe. In einer solchen ausweglosen Situation dürfen sie das Wort hören: Christus liebt euch. "Niemand wird sie meiner Hand entreißen" (Joh 10,28).

Noch Tieferes sagt uns der Eingangsvers: "Er hat uns zu Königen gemacht." Der Mensch, der am Boden liegt, der Kranke und Fremde, der Ausgestoßene und Verzweifelte, der Arbeitslose und der in der Gesellschaft nichts Geltende - jeder von ihnen darf hören: Er hat euch zu Königen gemacht.

Ein junges, unbedeutendes Mädchen in Nazareth, das sich selbst als eine Magd und Sklavin bezeichnet, sagt von sich: "Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut" (Lk 1,47). Woher kam ihre Gewissheit über die Zuwendung Gottes? Der Engel Gabriel hatte ihr vorher verheißen: "Der Heilige Geist wird über dich kommen" (Lk 1,35). Die Auserwählung der "Niedrigen" war ein Werk des Heiligen Geistes. Luther hat ihre Bedeutung erkannt, wenn er von Maria sagt, sie sei diejenige, die ganz aus der Gnade lebt. Gottes Gnade wird im Heiligen Geist zur Person. Die Liturgie des Pfingstmontag, an dem die Goldene Tafel im Dom zu Minden geweiht wird, beginnt mit der Feststellung: "Er hat uns zu Königen gemacht." Wer ist "uns"? Sicher ist zunächst Maria gemeint, die sich vom Heiligen Geist hat leiten lassen. Aber nicht nur ihr gilt dieses Wort, sondern jedem Menschen, der sich - wie Maria - als Magd oder Knecht Jesu Christi versteht.

Die Rückkehr der Goldenen Tafel in den Dom ist kein musealer Akt, keine historische Erinnerung, kein nostalgischer Vorgang, kein Rückblick in eine verstaubte Vergangenheit, sondern ein Ereignis, das jeden Menschen betrifft. Mit der Darstellung der Marienkrönung wird nicht nur eine Aussage über Maria, sondern vor allem über uns gemacht. Ihre Krone ist kein Herrschaftszeichen, sondern ein Zeichen der Vollendung. Die Goldene Tafel lehrt uns: Wer den Heiligen Geist in der Taufe empfängt und sich von ihm leiten lässt, der wird - wie Maria - einmal zur Vollendung gelangen und die Krone des ewigen Lebens erhalten.

So weitet sich das Thema "der Heilige Geist und Maria" auf alle Menschen aus. Wie Maria sind wir alle Könige geworden; aber der Glanz dieser Berufung wird erst im Himmel erkennbar sein. Die Goldene Tafel gibt uns einen Vorgeschmack. Die Botschaft dieses Mindener Altars besteht darin, uns immer wieder zu sagen: Könige seid ihr. Wenn ihr königlich lebt, geht ihr eurer Vollendung im Himmel entgegen.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

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