Dom Minden  
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Engel der Armen

Pfarrbrief vom 02.11.2003:
Das 25-jährige Papstjubiläum in Rom hat seinen besonderen Glanz durch die Seligsprechung von Mutter Teresa erhalten. Während die meisten der etwa 1300 Selig- und 500 Heiligsprechungen von Johannes Paul II. höchstens im eigenen Land Beachtung fanden, genoss diese Seligsprechung weltweite Zustimmung. Mutter Teresa hat mit ihrer Ehrfurcht vor den Armen und Sterbenden in Kalkutta neue Maßstäbe gesetzt und viele Menschen nachdenklich gemacht. Manches junge Mädchen und mancher Verehrer dieser schlichten Ordensfrau werden sich fragen, ob sie ihrem Leben nicht doch eine tiefere Sinnerfüllung geben sollten. Nach einer neuen Umfrage über die Vorbildfunktion von Menschen steht neben der eigenen Mutter Mutter Teresa an 2. Stelle. Wahrscheinlich hat das von ihr gelebte Evangelium junge und alte Menschen in aller Welt überzeugt.

In diesen Tagen von Allerheiligen und Allerseelen werden wir an die „Gemeinschaft der Heiligen“ erinnert, zu der sich im Glaubensbekenntnis der Kirche katholische und evangelische Christen bekennen. Die „Gemeinschaft der Heiligen“ stellt sich in drei großen Bereichen dar: zunächst sind die Heiligen des Volkes Gottes auf dieser Erde gemeint, die sich am Evangelium Jesu Christi orientieren. In der Bibel werden sie mehrmals „Heilige“ genannt. Nach einem Wort von L. Bloy sind sie ein „Gegengift zur babylonischen Zerstreuung“. Der orientierungslosen Herde der Menschheit steht die Kirche gegenüber; sie wird durch die Verkündigung des Evangeliums, durch die Feier der Sakramente, besonders der Eucharistie, und durch den Dienst der Liebe aufgebaut und ist dadurch der wegweisende Vortrupp der Menschen.

Zur „Gemeinschaft der Heiligen“ gehören aber auch die Verstorbenen im Läuterungszustand. Wir beten für sie, weil jeder Mensch Sünder ist und der Reinigung bedarf. Durch den gemeinsamen Glauben an das Leben sind wir miteinander verbunden. Als Ausdruck dieses Glaubens entzünden viele Angehörige am Allerheiligen- oder Allerseelentag Kerzen auf den Gräbern ihrer Verstorbenen. Wie die Osterkerze Symbol des auferstandenen Christus ist, so sind die kleinen Lichter ebenfalls Zeichen des ewigen Lebens.

Im Unterschied zu den evangelischen Christen sind für die Katholiken die Heiligen des Himmels nicht nur Vorbilder, sondern auch Fürsprecher am Throne Gottes. Darum dürfen wir zu ihnen beten und sie um ihre Hilfe bitten. Die vielen kleinen Kerzen vor der Pieta oder dem hl. Antonius bezeugen das Vertrauen, das Menschen ihnen schenken. Gerade in der hl. Eucharistie, die auf den Gräbern der Heiligen und Märtyrer gefeiert wird, verwirklicht sich am intensivsten unsere Einheit mit der himmlischen Kirche. In der Liturgie feiern wir zusammen mit allen Engeln und Heiligen gemeinsam das Lob von Gottes Herrlichkeit und das Werk seiner Erlösung.

Mutter Teresa hat uns in diesen Tagen einen neuen Zugang zu den Heiligen und den Verstorbenen erschlossen. Ohne jede Selbstinszenierung hat sie sich als eine Kontrastfrau zur heutigen Gesellschaft erwiesen. Alle Ehrungen, die ihr zuteil wurden, hat sie sogleich zu den Armen gelenkt. Die Elendsviertel von Kalkutta waren ihr heiliger Ort, an dem sie den Sterbenden eine Würde gab. „Sie kommen zu uns wie Straßenköter; aber wir helfen ihnen zu sterben wie Engel“, hat sie gesagt.

Schon zu Lebzeiten galt Mutter Teresa als Heilige, als Engel der Armen. In einer Zeit, in der menschliches Leben oft wenig gilt, hat sie ihm höchsten Wert gegeben. Sie wollte durch ihren Dienst die Welt menschlicher machen. Darum empfahl sie uns: „Lass nie zu, dass du jemandem begegnest, der nicht nach der Begegnung mit dir glücklicher ist.“ Der Auftrag Gottes an die „Gemeinschaft der Heiligen“ lautet: „Seid Engel der Armen, dann macht ihr die Welt menschlicher und glücklicher.“

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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