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Überlegungen zur Amtseinführung unseres neuen Erzbischofs

Pfarrbrief vom 28.09.2003:
Im letzten Pfarrbrief haben wir unserem Erzbischof versprochen, für ihn zu beten, damit der Geist Gottes ihn in seinem schweren Amt leite. Das darf keine leere Floskel sein, weil jeder Bischof vielfache Bürden zu tragen hat; zu ihnen gehört auch ein fragwürdiges kirchliches System, das wahrscheinlich nur der Heilige Geist aufbrechen und verändern kann. Vieles in der Kirche kann und darf so nicht weitergehen wie bisher.

„Wo der Bischof ist, da ist die Kirche“, hat ein großer Theologe gesagt. Der Bischof hat nach dem Willen Jesu eine überragende Position im Volke Gottes. Er ist Nachfolger der Apostel und damit wie der Bischof von Rom Träger der Kirche. Im Bild einer Kathedrale ist er nicht ein kleiner Stein irgendwo im Mauerwerk, sondern eine Säule, die das Gewölbe - man könnte auch sagen: den Himmel - trägt. Darum wurden oft Kathedralen und Dome mit zwölf Säulen gebaut, an denen Apostelfiguren mit ihren Symbolen stehen. Die Apostel und ihre Nachfolger sind es, die die Kirche leiten. Darum verdienen sie unseren Respekt.

Weil die Bischöfe die Nachfolger der Apostel sind, haben sie auch eine so starke Verpflichtung auf das Wort Gottes. Gerade im Jahr der Bibel darf daran erinnert werden, dass sie von der Bibel her denken und von hierher das Bistum leiten sollen. Aber nicht nur den Gläubigen sollen sie das Wort Gottes als Maßstab vermitteln; auch die gesamte Kirche muss sich immer wieder fragen lassen, ob sie sich wirklich am Evangelium orientiert. Der Bischof soll die Botschaft Gottes hoffnungsvoll und fröhlich den Menschen verkündigen; dann darf er sicher sein, dass sie ihm auch horchen und ge-horchen. Die Gläubigen haben aber ebenso die Erwartung an den Bischof, die Gesamtkirche unter dem Gesichtspunkt des Evangeliums zu hinterfragen und sich nicht von der römischen Zentrale beiseite schieben und unterdrücken zu lassen. Die Bischöfe sind als Nachfolger der Apostel verpflichtet, sich selbstbewusst gegenüber dem „römischen System“ Kirche zu behaupten, so wie der heilige Paulus dem heiligen Petrus „offen entgegen getreten ist“ (Gal 2,11).

Wer sich die heutigen Formen der Bischofswahl anschaut, kann nichts Biblisches mehr erkennen. Vor der Wahl muss das zuständige Domkapitel - natürlich streng geheim! Warum eigentlich? - eine Liste in Rom vorlegen, auf der drei Kandidaten genannt werden. Es wird vermutet, dass in den letzten Jahren bei einigen Bischofswahlen kein von den jeweiligen Domkapiteln vorgeschlagener Kandidat von Rom berücksichtigt wurde. Wie kommt die römische Zentrale dazu, so machtbesessen und rücksichtslos über die Vorschlagslisten der Diözesen hinwegzugehen? Ist das dem Evangelium gemäß? Wer kennt die Diözese besser, der Papst, Kardinal Ratzinger, der Nuntius oder die deutschen Domkapitel? Hier sind dringend Reformen erforderlich. Als ich einmal einem Dompropst sagte, sie sollten einen guten Bischof wählen, antwortete er: „Wir können nur so gut wählen, wie man uns lässt.“ Warum werden die Vorschläge eines Domkapitels in Rom nicht ernst genommen? Muss sich die Kirche in Deutschland und in der ganzen Welt eine solche Bevormundung gefallen lassen?

Es geht auch anders! Vor der Wahl des Bischofs Tenhumberg hat das Münsteraner Domkapitel alle kirchlichen Gremien befragt, wer neuer Bischof von Münster werden solle. Über 700 Antworten haben sich damals für Tenhumberg ausgesprochen. Das ist ein Weg, um einen Bischof zu finden, der das Vertrauen der Diözese besitzt. Mit einem solchen Votum kann jeder Bischof sein Amt antreten. Selbstverständlich sollte der Papst die Wahl bestätigen und den Bischof ernennen.

Ein anderes trauriges Kapitel in der Beziehung zwischen Papst und Bischöfen ist die nicht mehr zeitgemäße Einrichtung eines päpstlichen Nuntius in den einzelnen Staaten. In der Regel ist er kein „Bote“ - wie der lateinische Name sagt -, der gute Nachricht bringt, sondern ein Wächter und Kontrolleur. Er berichtet in Rom über alle Vorgänge der Kirche in Deutschland, über Theologen und Bischöfe. Wehe, wenn ein Bischof etwas von der römischen Linie abweicht - sich etwa zu donum vitae oder die viri probati positiv äußert; dann hat er seine Zukunft hinter sich. Wehe, wenn ein Theologieprofessor nach nicht konformen Wegen sucht, um den Menschen den Glauben der Kirche zu erklären; er wird nie wieder einen theologischen Lehrstuhl erhalten. Bischöfe und Professoren haben mir von dieser Praxis berichtet. Manche vergleichen dieses römische System mit dem kommunistischen der DDR, in dem man seine eigene Meinung nicht offen kundtun durfte, ohne Repressalien ausgesetzt zu sein.

Ein einzelner Bischof ist nicht in der Lage, ein solches System der Kirche aufzubrechen. Ganze Bischofskonferenzen müssten sich erheben, um eine Reform in der Kirche einzuleiten. Das 2. Vatikanische Konzil ist diesen Weg des Aufbruchs und der Freiheit mutig gegangen.

Solche Gedanken kommen einem Diasporapfarrer bei der Amtsübernahme seines Bischofs. Sie sind nicht gegen die Kirche oder gegen einzelne Personen gerichtet - schon gar nicht gegen den neuen Erzbischof, den wir seit vielen Jahren kennen und schätzen -, sondern gegen ein verkrustetes und fehlgeleitetes System. Sie erwachsen einzig und allein aus einer Sorge um den Weg der Kirche in die Zukunft. Wer Priester aus Leidenschaft ist, darf solche Überlegungen nicht für sich behalten; er muss sie aussprechen, wie die Bibel es verlangt.

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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