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Erzbischof Degenhardt - privat

Pfarrbrief vom 11.08.2002:
Die meisten katholischen Christen im Erzbistum Paderborn haben den Erzbischof und späteren Kardinal nur in Amt und Würden erlebt. Bei den großen Gottesdiensten im Paderborner Dom oder bei Firmfeiern in den Gemeinden trat er in festlicher Kleidung mit Mitra und Stab auf. So erschien er als hoher Repräsentant der Kirche, fernab von den Leuten. Zuweilen wurde bei Auseinandersetzungen mit dem Staat - etwa bei Schulfragen oder der Schwangerenkonfliktberatung - oder mit Theologen - etwa Drewermann - der Eindruck erweckt, er sei konsequent und streng, manchmal autoritär und hart. Wenn ich mit ihm über solche Konflikte sprach - selten genug - erklärte er mir, dass es zu seinem Amt gehöre, die wahre Lehre der Kirche zu bewahren. Er war immer zurückhaltend gegenüber Visionen und Risiken der Kirche; er verstand sich mehr als ein Wächter, der die Gläubigen vor zweifelhaften Wegen beschützen wollte. Insofern war er ein Konservativer, also ein Bewahrer des Bestehenden. Mit vorwärtsdrängenden, fortschrittlichen Kräften hatte er seine Schwierigkeiten. Zweifellos gehört es auch zum Wesen des Amtes, das Bewährte und Gewachsene in der Kirche nicht aufs Spiel zu setzen. Wer ihn im offenen Sarg sehen konnte, fand bestätigt, dass er sich diese Amtsauffassung bin in den Tod bewahrt hat.

Ganz anders der private Bischof: Wir nannten ihn nur Jochen. Als ich mein theologisches Studium 1948 in Bad Driburg begann - das Leokonvikt in Paderborn war noch nicht wieder aufgebaut -, war er schon ein halbes Jahr dort. Wir haben uns vom ersten Tag an gut verstanden. Seine höfliche, freundliche und bescheidene Art gefiel mir gut. Bei seiner Priesterweihe 1952 habe ich als Diakon assistiert. Sein erster Pastor in Brackwede, der bei meiner kranken Tante in Paderborn zuweilen Besuche machte, beklagte sich über diesen Vikar, der zu lange im Beichtstuhl säße und "neue Moden" einführen wollte. Der hier sich bereits abzeichnende seelsorgliche Eifer war für sein ganzes Leben bestimmend. Degenhardt war durch und durch Seelsorger. Die laisierten Priester, die beim Ausscheiden aus ihrem Amt mit dem Erzbischof sprechen mussten, lobten sein Verständnis und seine Güte, obwohl er schmerzhaft unter solchen Entscheidungen gelitten hat.

Erzbischof Jäger holte Jochen nach einigen Vikarsjahren als Präfekt ins Theologenkonvikt. Da ich als Diözesanjugendseelsorger ebenfalls in Paderborn stationiert war, trafen wir uns regelmäßig, entweder im Zöli-Bad, beim Kegeln im Konveniat oder einfach zum Gespräch. Bei diesen Treffen ging es immer locker zu. Das Frotzeln gehörte zum Stil unserer Begegnungen. Da er auf Drängen des Erzbischofs in Würzburg neutestamentliche Exegese studierte - obwohl er nach eigenen Worten nicht in die Wissenschaft wollte -, habe ich ihn gern in meine Gruppenleiterkurse als Referent für Bibelarbeit mitgenommen. Der Promovierte verstand mehr von der Sache als ich, zumal in diesen Jahren durch die neue historisch-kritische Methode die Bibelexegese in einem revolutionären Umbruch stand. Bei einem Kurs in St. Meinolf am Möhnesee wurden wir beide in ein Privatquartier ausgelagert. Als wir abends spät unser Zimmer mit den beiden Ehebetten betraten, mussten wir über die prall gefüllten Kissen, die alten Bezüge und uralten Bettumrandungen so sehr lachen, dass wir in dieser Nacht nur ganz wenige Stunden geschlafen haben.

Überhaupt war eine seiner Stärken seine Lachfähigkeit. Gern erzählte er selbst Witze, wollte auch immer wieder neue hören, über die er herzhaft lachen konnte. Bei seinem letzten Besuch in Minden am Pfingstmontag dieses Jahres haben wir beide noch einmal diese Fähigkeit erprobt. Wir haben über gemeinsame Mitbrüder erzählt und uns köstlich amüsiert.

Wenn Jochen mich besuchte, habe ich ihm als erstes - auch in Minden - einen Schnaps angeboten. "Damit Du die Strapazen überstehst." Aber in der anschließenden Predigt oder Diskussion konnte er unter der Last seines Amtes wie umgewandelt sein. In einem Gespräch in Minden, in dem er Porzellan zerschlagen hatte, bat er mich, die Sache in Ordnung zu bringen. "Ich habe das ja gar nicht so böse gemeint." Durch den Aufstand der Jugend 1968, durch neue theologische Aufbrüche und kritische Äußerungen gegenüber der Kirche kamen wir etwas auseinander. Zu unterschiedlich waren unsere Positionen. Vielleicht ist deshalb auch mein 1974 unternommener Versuch, von Düsseldorf ins Erzbistum Paderborn zurückzukehren, gescheitert. Als ich mich um Minden bewarb, hat er sogleich zugestimmt und mich auch gegen Widerstände verteidigt.

So nehme ich Abschied von einem Freund, mit dessen Amtsführung ich nicht immer einverstanden war. Aber die Erinnerung an seine menschlichen Qualitäten, seinen freundschaftlichen Geist, seinen tiefen Glauben, seine Sorge um die Kirche, seine Bescheidenheit und Fröhlichkeit werde ich mir bewahren - dankbar und über den Tod hinaus.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

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