Dom Minden  
  ARCHIV | PFARRBRIEFE  

Wunschstein

Pfarrbrief vom 04.08.2002:
Das war im vorigen Jahr eine "wunder"-bare Idee: den klagenden und bedrängten Mindener Bürgern und -innen durch die Kunst eines Sterndeuters einen 7 1/2-Tonnen schweren Stein vom Himmel zu zaubern, der in einem eigens eingebauten Briefkasten alle Wünsche und Sorgen entgegen nehmen konnte. Das "zauberhafte Minden" machte sich stark, auch alle Wünsche erfüllen zu wollen. Da sich erwartungsgemäß die meisten Wünsche an die Stadtväter richten würden, war ihnen geraten worden, den Stein unmittelbar vor das Rathaus zu stellen. Dieser Rat aber scheiterte, weil sich hier die Tiefgarage befindet, deren Decke nicht stark genug ist, um den schweren Stein tragen zu können. Auf der Suche nach einem anderen Standort fiel die Wahl auf den Platz vor dem Haus am Dom.

So ins Blickfeld gerückt wurde der Wunschstein für viele Bürger und -innen zu einem Stein des Anstoßes. Die einen hielten den Platz für ideal, die anderen für deplaziert. Die ihn für ideal hielten, begründeten ihre Meinung mit der Annahme des Steins durch die Bevölkerung, mit der großen Zahl der eingeworfenen Briefe oder mit der Augenweide für die Besucher des gegenüber liegenden Cafés. Diejenigen, die gegen diese Plazierung sprachen - unter ihnen auch die Gremien der Domgemeinde - argumentierten aus der Sicht des äußerst sensibel gestalteten Platzes, der beim Wiederaufbau der Stadt von den Stadtplanern und Architekten des Rathauses, des Domes und des Hauses am Dom nach gewissenhaften und kontroversen Überlegungen erstellt worden war. Vor der überragenden Kulisse des 1000-jährigen Westwerks war der Kleine Domhof so geschaffen worden, dass er als geschlossener Raum erscheint, der außer dem Brunnen keinerlei Bauwerk enthalten sollte.

Von Anfang an hat die Domgemeinde auf diesen zentralstädtischen Architekturplatz von hoher städtebaulicher Qualität hingewiesen, der auf keinen Fall durch weitere bauliche Zutaten in seiner Harmonie gestört werden dürfe. Schon gar nicht könne an dieser Stelle ein Denkmal errichtet werden, dass aus einem Theatergag erwachsen ist und keinerlei historische Beziehung zu dem Kulturdenkmal des Domes und seiner traditionsreichen Geschichte hat. Die für die Aufstellung des Wunschsteins zuständigen Veranstaltungsträger versicherten, den Stein nur für kurze Zeit - etwa vier Wochen - an diesem Platz zu belassen. Durch die Ereignisse vom 11. September 2001 erhielt der Stein für einige Tage eine andere - religiöse - Qualität. Obwohl aufgrund dieses schrecklichen Anlasses im Dom Hunderte von Kerzen brannten und ein ausgelegtes Kondolenzbuch eine Fülle von Fürbitten und Wünschen aufnahm, nutzten einige Bürger und -innen den Stein, um an ihm Blumen und brennende Kerzen abzulegen und auch einige Gebete in den Briefkasten zu werfen. Jeder Trauernde braucht eben einen Ort, an dem er seine Trauer zeigen kann.

Diese Zeit ist vorbei. Wie uns mitgeteilt wurde, werden immer wieder Wünsche mit verschiedenen Anliegen in den Briefkasten geworfen, häufig die Bitte nach Erhaltung des Sommerbades. Es ist nichts gegen eine solche Einrichtung einzuwenden; allerdings sollte sie sich nicht an einem Ort befinden, an dem sie einen schönen Platz beeinträchtigt. Es kommt hinzu, dass dieser Stein keineswegs künstlerisch gestaltet ist, so dass er unter diesem Gesichtspunkt einen Ehrenplatz verdienen würde. Der Stein wirkt fremd, roh und uneingepasst und assoziiert eher dörfliche Bezüge. Er bildet kein urbanes, platzbestimmendes Gestaltungselement.

Nach genau einem Jahr ist nun das Versprechen einer Verlegung des Wunschsteins an einen anderen Platz Wirklichkeit geworden. Wir freuen uns über die einvernehmliche Lösung. Gern laden wir die Mindener Bevölkerung ein, auch an dem neuen Aufstellungsort von diesem Briefkastenangebot Gebrauch zu machen und ihre Wünsche an die Stadtväter und an andere Institutionen - auch an die Kirchen - zu richten - zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

zurück