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Fußball als Religion

Pfarrbrief vom 20.06.2002:
Hunderte Millionen Menschen rund um den Globus befinden sich in einer Festzeit: die Fußball-Weltmeisterschaft. Nahezu jeder Tag erlaubt es dank der elektronischen Medien jedem Interessierten, unmittelbar an den Spielen teilzunehmen - an Jubel und Enttäuschung, an Faszination und Ernüchterung. Manche Soziologen, Psychologen und Theologen gehen der Frage nach, ob der Fußballsport nicht zu einem Religionsersatz für Menschen geworden ist, die sich ihrer Kirche entfremdet haben. Sie zeigen Beispiele auf und diagnostizieren: Es gibt Parallelen im Vollzug von Fußball und Glauben, die nachweisen, dass der Mensch "unheilbar religiös" ist. Viele Menschen suchen die Befriedigung ihrer spirituellen Bedürfnisse, indem sie einen Festkalender aufstellen, der vier Jahre umfasst - von einer Fußballweltmeisterschaft bis zur nächsten. Dazwischen liegt der Rhythmus der Fußballsaison. Diese Festzeit ist von einer sakral anmutenden Weihehandlung umrahmt: Eröffnungsfeier, Fahnen, Musik und feierliche Abschlussveranstaltung haben liturgischen Charakter. Das Stadion, das als Dom bezeichnet wird, nimmt das Spiel auf seinem "heiligen" Rasen auf; die Architektur erinnert an Tempel und Gotteshäuser. Der Weltklassespieler wird zum Fußballgott hochstilisiert; der unerlaubte Gebrauch der Hand, die den Torschuss ermöglicht, wird zur Hand Gottes, der das alles gefügt hat. Nach errungenem Sieg wird Gott bescheinigt, dass er gerecht sei. Die Fangemeinde, die sich wie bei einer Wallfahrt prozessionsartig auf das Stadion zu bewegt, singt ihre Hymnen "We are the champions" oder ihre Nationalgesänge. Der Stadionsprecher nennt die Namen der Spieler oder der Torschützen, die von den Fans wie in einem Wechselgesang aufgenommen und erwidert werden. Verschwitzte Sportlerhemden, Mützen, Handschuhe, Fußbälle werden wie Reliquien begehrt und zu Hause wie Heiligtümer verehrt. Der Sport, vor allem der Fußball, hat unter dem kulturell-kultischen Aspekt für viele Menschen den Charakter eines "heiligen Spieles" angenommen. Der große Theologe Romano Guardini hat vor vielen Jahren schon in einem stark beachteten Aufsatz die "Liturgie als Spiel" bezeichnet. Diese Parallelen zwischen der Liturgie der Kirche und der des Sports machen offenbar, wie sehr jeder Mensch, auch der aufgeklärte, als a-religiös bezeichnete Zeitgenosse solcher liturgischen Feiern bedarf. Scheinbar gibt es ein Grundbedürfnis der Menschen nach Liturgie.

Die säkularisierte Form der Liturgie im Fußball legt die Frage nahe, ob sie tragfähig ist und den Menschen helfen kann. Was ist, wenn der Sportler als Fußball-Gott den Ansprüchen der Fans nicht mehr genügt? Wenn Kommerz und Korruption ihre bleiernen Schatten über alles werfen? Und vor allem: wo geschieht in der "Religion Fußball" die persönliche Begegnung mit dem vergötterten Star, das Aufgenommen-Werden in eine Gemeinschaft, die Zeit und Raum übergreift und dem Einzelnen das Bewusstsein einer geborgenen Existenz zu geben vermag - egal wie oft eine Auswechslung stattfindet.

Im bewussten Vollzug der christlichen Liturgie und der sakramentalen Feiern als Quellen und Höhepunkte christlichen Lebens macht die Kirche ein nicht zu überbietendes Angebot, das dem Menschen innewohnende Bedürfnis nach ausgelebter Religiösität zu befriedigen. Das Diözesanbildungswerk bietet uns an, unsere Kenntnisse, Erfahrungen und Wünsche in Bezug auf die Liturgie der Kirche einzubringen, aufzufrischen und auf ihren Echtheitsgrad hin zu überprüfen.

Noch einmal laden wir zur bereits angekündigten Informationsveranstaltung am Mittwochabend (26.6.) im Haus am Dom herzlich ein.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

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