Dom Minden  
  ARCHIV | PFARRBRIEFE  

Heilige sind Menschen mit Antworten

Pfarrbrief vom 31.10.2001:
Die evangelische St. Martinigemeinde hatte mich zu ihrem Gottesdienst am Reformationsfest eingeladen, über die Zeugen des Glaubens zu predigen. Über diese Einladung war ich aus drei Gründen erfreut. Neben dem unübersehbaren ökumenischen Zeichen und dem wachsenden Verständnis der evangelischen Christen für die Heiligen war dieser Gottesdienst auch eine Einladung an die katholische Kirche, sich vom evangelischen Reformationsfest ansprechen zu lassen. Beide Kirchen haben die ständige Erneuerung - das heißt Reformation - bitter nötig!

Obwohl die Verehrung der Heiligen in der Vergangenheit mehr ein katholisches Thema war, öffnen sich viele evangelische Christen mehr und mehr diesem Anliegen. Fast alle ihre Kirchen tragen Namen eines Heiligen; darum ist es wichtig, zu ihnen eine Beziehung aufzubauen. Die Zurückhaltung der evangelischen Christen lag in der Befürchtung von Fehlentwicklungen in der Heiligenverehrung: die Heiligen könnten ein solches Gewicht bekommen, dass der einzige Erlöser und Retter der Welt - Jesus Christus - in den Hintergrund gedrängt würde. Sie wollten auch nicht eine Kennzeichnung der Heiligen als Fürbitter am Throne Gottes. Gott braucht nicht von den Heiligen im Himmel umgestimmt zu werden. Seine Barmherzigkeit ist grenzenlos.

Selbstverständlich respektieren wir katholischen Christen diese Meinung. Dennoch ist die Bedeutung der Heiligen für das christliche Leben von höchstem Wert. Der evangelische Heiligenforscher Walter Nigg hat über sie gesagt: Heilige sind Menschen mit einer Antwort. Damit wird der Bezugspunkt zu uns genau formuliert. Wir dürfen Heilige nicht einfach kopieren; sie haben ja in einer ganz anderen Zeit unter ganz anderen Umständen gelebt. Sollen wir arm werden wie Franziskus? Haben wir die Möglichkeit, uns zu opfern wie Dietrich Bonhoeffer? Sollen wir wie Albert Schweitzer in den Urwald gehen? Sollen wir alle wie Therese von Avila ins Kloster eintreten? Das kann nicht sein. Heilige sind Menschen, die in ihrer Zeit in einer bestimmten Situation von Gott angesprochen wurden; sie haben diesen Anruf gehört und darauf richtig reagiert. Hier wird unsere Herausforderung erkennbar. Nur so ist auch das Wort von Martin Luther zu verstehen: Wir sollen die leuchtenden Bilder der Heiligen einüben.

Das Leuchten der Heiligen entspringt nicht ihrer Frömmigkeit, Einsatzfreude, sozialen Gerechtigkeit, also ihrer eigenen Leistung. Dann würden wir das Leistungsdenken unserer Zeit in die Heiligen transplantieren. Was die Heiligen zum Leuchten bringt, ist nicht ihre eigene Kraft, sondern allein die Gnade Gottes. Jeder Heilige ist deshalb ein herrliches Lied und das Fest Allerheiligen ein riesiger Lobgesang auf die göttliche Gnade. Sie hat die Menschen ergriffen, und die Heiligen haben auf diesen Einbruch Gottes mit ihrem Leben eine Antwort gegeben. So ist es nicht entscheidend, ob Heilige vom Papst zur Ehre der Altäre erhoben worden sind. Vielleicht schützt dieser Vorgang die Gläubigen vor Fehlentwicklungen. Viele nicht- kanonisierte - also Menschen in unserer Mitte -sind als Heilige zu betrachten. Manchmal sage ich von einem ganz guten Menschen: das ist ein Heiliger. Der hl. Paulus hat es nicht anders gesehen; so schreibt er am Anfang des Kolosserbriefes:

Paulus an die heiligen Brüder (und Schwestern) in Kolossae (1, 1).
Jeder, der als ein Hörer des Wortes Gottes aufmerksam auf das achtet, was Gott ihm sagen will und darauf im Sinne des Rufenden reagiert - der ist ein Heiliger.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

zurück